08.05.2017
Obsession für Kundenbelange
Ein weiterer Unterschied zu Old-School-Unternehmen: Startups lieben ihre Kunden. Customer Obsession nennen sie das. Während übliche Manager vor allem an den Wettbewerb, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, haben die Jungunternehmer längst verstanden, dass sich alles um die Kunden und ihre Daten dreht. Sie suchen gezielt nach Problemen und einer passenden Lösung dafür. »Vom Kunden her denken« nennen sie das. Die Finessen der Digitaltechnologie sind ihr Werkzeugkasten. Sie organisieren sich nicht in Silos, sondern crossfunktional um Kundenprojekte herum. Sie verbessern sich durch ständigen Dialog mit den Kunden. Und niemand weiß wirklich treffsicher so viel darüber, was Millennial-Käufer wollen, wie die Millennials selbst.
Klassische Anbieter hingegen konzipieren neue Produkte nach eigenem Gusto und drücken sie dann mit teurem Werbegedöns in den Markt. Vieles davon ist aus Konsumentensicht ungewollt, unnötig, lästig. Doch heute ist jeder Anbieter auf das Wohlwollen seiner Kunden angewiesen wie niemals zuvor. Wem was nicht passt, der ist im Web mit einem »Click« oder am Handy mit einem »Swipe« weg. Und online erzählt er der ganzen Welt, warum das so ist. »Alles für den Kunden«, lautet also das Credo. Empathie für Kundenbelange und kundenorientierte Serviceprozesse werden gebraucht.
Aber ist das nicht völlig normal? Ganz und gar nicht. Fast überall sollen sich die Kunden in die vom Unternehmen vorgedachten Prozessabläufe fügen. Beschwerliche, umständliche und kostenintensive Aufgaben laden sie beim Käufer ab. So versuchen Konsumenten zum Beispiel, ihre Fragen an einen Anbieter auf dessen Facebook-Seite loszuwerden. Und was kommt als Antwort? »Hier ist nicht der Ort, an dem wir Ihr Anliegen bearbeiten können. Bitte gehen Sie auf unsere Website und füllen Sie dort das entsprechende Serviceformular vollständig aus.« Und das ist nur ein Vorfall von vielen.
Einer Studie von Bain & Company zufolge meinen 80 Prozent aller Unternehmen, ein herausragendes Kundenerlebnis zu bieten, aber nur 8 Prozent ihrer Kunden stimmen dem zu.11 Wie es dazu kommt? Die meisten Unternehmen agieren vor allem selbstfokussiert, anstatt sich an den wahren Kundenbelangen zu orientieren. So erfordert die zunehmende Komplexität des realdigitalen Lebens einen hohen zeitlichen Aufwand. Anbieter, die einem die Zeit stehlen, weil bei ihnen alles noch immer so umständlich ist, kommen für Millennials nicht in Betracht. Wer Obsession für Kundenbelange 31 mit digitalen Anwendungen groß geworden ist, akzeptiert einfach nicht, dass sich ein Unternehmen damit schwertut. Ältere Generationen gehen mit Serviceproblemen gnädiger um. Früher hatte man einfach keine andere Wahl. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Jetzt liegt die Macht bei den Digital Natives. Mit ihren Aktionen, bei denen sie sich zu virtuellen Schwärmen verbinden, können sie über Leben und Tod eines Anbieters entscheiden.
Quelle: Fit für die Next Economy; A. Steffen, A. Schüller